Endlich steht auch der Bewerber im Mittelpunkt

Gerade die älteren Semester kennen bestimmt noch eine andere Form des Recruitings, welche sich erheblich rauer anfühlte als heute. Denn in der Zeit des Überflusses an Bewerbern konnte schnell der Eindruck entstehen, der Bewerber sei Bittsteller und kein gleichwertiger Interaktionspartner. Gegenwärtig ist davon allerdings nichts mehr zu spüren. Denn wer beispielsweise mit umfassenden IT-Kompetenzen präpariert ist, fühlt sich dieser Tage eher wie ein VIP auf dem roten Teppich. Infolgedessen erlebt auch das Recruiting einen historischen Umbruch.

Bewerber im Mittelpunkt

Wer in der Vergangenheit einen eher rauen Ton im Umgang mit seinen Bewerbern pflegte, musste selten eine Eskalation der öffentlichen Wahrnehmung fürchten. Schließlich verlagerte sich noch nicht ein beträchtlicher Teil der Kommunikation ins Internet. Auch Social Media galt eher als Nerd-Hobby und Bewertungsmöglichkeiten von Unternehmen und Produkten schenkten die wenigsten Menschen Beachtung. Wer in der „guten alten Zeit“ eine Öffentlichkeit auf seine Seite ziehen wollte, dem halfen meist nur ein Scheck und verlässliche Kontakte oder der mühselige Versuch eines Leserbriefs an die Lokalpresse. Allerdings ließ sich der Wandel durch die Digitalisierung aller Lebensbereiche nicht aufhalten, sodass heute ein Social-Media-Shitstorm für ein Unternehmen ernste Konsequenzen haben kann.

Der Beginn des Problems

Jedoch beginnt die Entstehung des heutigen Problems nur mittelbar an dem Punkt der nicht militärischen Nutzung des Internets in den 90iger Jahren. Das viel gravierendere Merkmal des heutigen Arbeitsmarktproblems ist das mitunter selbst verschuldete, demographische Problem. Denn worauf beruht der Geburtenrückgang hauptsächlich? Wer sich Kinder leisten möchte, für den sind schlechte Löhne und katastrophale Arbeitszeitmodelle mitunter ein KO-Kriterium. Selbstverständlich gesellen sich aber noch weitere Gründe hinzu, die auf einer Ideologie beruhen, dass jeder in jeder Form, gegenüber jeder Situation gleich sei. Den Unsinn hinter diesem Dogmatismus vermeiden es wenige zu erkennen, da es ein Weltbild einer ganzen Generation gefährden würde und das obwohl, nicht jeder gleich groß, gleich gebildet, gleich talentiert, gleich veranlagt und gleich motiviert ist – ja noch nicht mal die gleichen Ziele hat. Dass eine Gleichheit vor dem Grundgesetz existiert, stimmt schon, vor allem wenn es um die juristische Gleichbehandlung geht, aber das macht den Menschen nicht per se zu einem geschlechtsfreien und beliebig ersetzbaren Klon.

Diese Prozesse und die (vermeidbaren) Umwälzungen führen nun zu einem echten Dilemma. Denn auch wenn es Frauen möglich ist, Männerberufe zu ergreifen, um später identische Positionen anzustreben und auch zu besetzen, ist es Männern dennoch nicht möglich Kinder zu gebären. Das Problem manifestiert sich aber eben an jener Stelle, denn die Karrierefrauen neigen Studien zufolge, weit weniger zur Gründung einer Familie, als das ihnen entgegenstehende historische Frauenbild. Ganz gleich, welche Position man persönlich zu diesem Thema einnimmt, die Verminderung von qualifiziertem Nachwuchs provoziert förmlich die komplexen Umwälzungsprozesse in der Gesellschaft und im Arbeitsumfeld.

Unternehmen im Kampf um die Eliten

Zu den angesprochenen Umwälzungsprozessen gehören aus technologischer Sicht die Digitalisierung und die Automatisierung. Diese Prozesse sind aber Fluch und Segen zugleich, da vor der Nutzung immer die Einführung steht und für diese Aufgabe braucht es Spezialisten. Der Pool für diese Kandidaten nimmt allerdings immer weiter ab, sodass sich die Unternehmen plötzlich sehr anstrengen müssen, um diese Menschen aus dem IT- und Informatik-Umfeld für sich zu begeistern. Eine Folge dieses Mangels schlägt sich in der Gehaltsentwicklung nieder, denn für diesen Bereich werden drastische Steigerungen prognostiziert.

Ein bildungspolitischer Ansatz zur Problemlösung fällt in das Ressort der MINT-Förderung, die allerdings häufig einem zahnlosen Tiger gleicht, da meist die Bordelldevise „alles kann, nichts muss“, als Wegbereiter für eine Umsetzung herhalten muss. Dieser Mangel an Konsequenz, verbunden mit 16 unterschiedlichen Auffassungen, was denn dem Technologiestandort gut täte, treibt aber noch bizarrere Blüten. Denn während im asiatischen Raum der MINT-Fokus (fast) zum Volkssport gehört, bekommen wir Gender-Studies und dergleichen als Offenbarung präsentiert. Auch wenn große Konzerne sicherlich einigen Lobby-Einfluss geltend machen können, so reicht dieser offenbar nicht aus (, die eigene Zukunft auf Dauer zu sichern).

Recruiting 4.0

Infolge der angesprochenen Veränderungen muss sich auch das Recruiting anpassen und übernimmt immer mehr Abläufe und Funktionen aus dem digitalen Bereich. Dieser Prozess hat in der Industrie den Beinamen 4.0 erhalten und bedient sich dem Menschen nur noch als Kontrollinstanz. Wohingegen sämtliche Prozesse vorher definierten Algorithmen folgen, die ein Eingreifen nur noch im Störungsfall nötig machen.

Im Recruiting 4.0 vollziehen erste Unternehmen bereits die Einführung von künstlicher Intelligenz (KI). Mithilfe der KI lässt sich eine vollautomatisch vorgelagerte Bewerberauswahl und sogar ein Vor-Interview umsetzen. Der Vorteil könnte gravierender nicht sein, denn ein Algorithmus untersucht die Persönlichkeit mittels Sprachanalyse und passenden Fragen nebst Kontrollfragen, um nicht nur die fachliche Qualifikation, sondern auch die Eignung für das Unternehmen bereits in einer Vorauswahl möglichst präzise auszuwerten. Dem Menschen in diesem Prozess wird lediglich die Auswahl präsentiert, die es für das Unternehmen zu begeistern gilt. Aber reicht dieser Prozess aus?

Gefahrenquelle Social Media

In der von Social Media durchzogenen Welt wäre diese Annahme der erste Schritt hin zum Untergang. Denn gerade junge Bewerber, also Digital Natives, verwenden die sozialen Netzwerke zu einem umfassenden Erfahrungsaustausch. Schnell ist ein Shitstorm zu einem gewaltigen Reputationsproblem des Unternehmens geworden, welches die Personalarbeit auf Monate oder Jahre hin schwer beschädigt. Folglich ist die Netzwerkarbeit zum eigenen Bewerberpool und auch zur diffusen Öffentlichkeit die wichtigste Doktrin einer Presse- und HR-Abteilung. Aber auch das restliche Unternehmen sollte sich in Form der eigenen Mitarbeiter, hinsichtlich der öffentlichen Wahrnehmung, kein Grab schaufeln. Dass die Mitarbeiter solch eine Problemstellung möglicherweise als Maulkorb und Beeinflussung ihrer Meinungsfreiheit verstehen, gehört im schlimmsten Fall mit dazu.

Wo bleibt der Ausweg?

Welcher Ausweg böte sich an, wenn eine Zeitmaschine zur Vermeidung der vorherrschenden Ideologie, nach Einstein und Hawking, keine Option darstellt und sich die Bevölkerung gleichzeitig vor einer kompletten Gesellschaft 4.0 fürchtet? Nun man könnte die bisher vorhandenen Mitarbeiter maximal Weiterbilden, um Studium und Beruf sowie Familie und Beruf besser unter einen Hut zu bekommen, oder aber auf ein Wunder hoffen. Dazu zählen ebenso flexible Arbeitszeitmodelle sowie sinnvolle Benefits für Gesundheit und Rente oder gar ein Betriebskindergarten. Auch die Hilfe bei der Wohnungssuche in den Ballungszentren entwickelt sich immer mehr zu einem „must have“-Kriterium. Ein anderer Punkt ist die automatische Gehaltsanpassung, wie sie im öffentlichen Dienst existiert. Hierbei steigt nicht nur das Gehalt absolut, sondern auch relativ gegenüber der Inflation – unglaublich aber wahr!

Was bleibt, ist auf alle Fälle die veränderte Ausgangssituation der Unternehmen, die jetzt ihrerseits bei den „Eliten“ wie Bittsteller auftreten müssen. Allerdings könnten frühzeitige Praktika mit Unternehmensbindungscharakter bei entsprechender Bezahlung eine Option darstellen. Ebenso wie eine Unterstützung für Studienwillige das heißt falls noch genügend zusammenkommen, bei dem bisherigen IT-Fokus des bundesweit uneinheitlichen Schulsystems stehen die Chancen dafür ja eher schlecht.